Deutscher Bundestag

17. Wahlperiode

Antrag

der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Nadine Schön, …, Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich und der Fraktion der CDU/CSU

sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Sybille Laurischk, Heinz Golombeck, ….  Birgit Homburger und der Fraktion der FDP

Internationaler Frauentag – Feiertag der Frauenbewegung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vor 100 Jahren wurde am 19. März erstmals in Europa der Frauentag begangen. In Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und in der Schweiz nutzten Frauen 1911 diesen Tag, um gemeinsam öffentlich für die gleichen politischen Rechte von Frauen einzutreten. Im Mittelpunkt stand das Frauenwahlrecht – ebenso wie beim ersten Frauentag in den USA, der im Februar 1909 durchgeführt worden war und ein voller Erfolg wurde, weil sich eine breite Allianz  bürgerlicher und sozialistischer Frauenrechtlerinnen hinter die Forderung für das Frauenwahlrecht stellte.

Seit 1911 hat der Frauentag eine wechselvolle Geschichte erlebt. Neben die Wahlrechtsforderung trat die Ablehnung des ersten Weltkriegs. Nach dem ersten Weltkrieg und nach Erlangung des Frauenwahlrechts wurde die Fortführung der jungen Tradition des Frauentages vor allem durch arbeits- und sozialrechtliche Forderungen der Frauenbewegung getragen.

1975 richteten die Vereinten Nationen im internationalen Jahr der Frau erstmals am 8. März eine Feier anlässlich des Internationalen Frauentages aus. Die Generalversammlung der VN beschloss im Dezember 1977, den 8. März verbindlich als Internationalen Frauentag anzuerkennen. Thematisch ging es überwiegend um die gleiche Teilhabe am Erwerbsleben. Die jährlich rund um den 8. März in den Vereinten Nationen tagende Frauenrechtskommission (FRK) nutzt den Internationalen Frauentag, um die Umsetzung der Forderungen der internationalen Frauenrechtskonferenzen, insbesondere der Aktionsplattform von Peking, nachzuhalten und weiter zu entwickeln.

In Deutschland ist die wechselvolle Geschichte des Internationalen Frauentages zusätzlich geprägt von der Geschichte der deutschen Teilung. Während in der DDR der internationale Frauentag unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg offiziell wieder eingeführt wurde und den Charakter einer sozialistischen Veranstaltung trug, entwickelten sich in der Bundesrepublik seit 1948 Veranstaltungen am internationalen Frauentag eher vereinzelt und vor allem getragen durch parteilose Pazifistinnen im Engagement gegen die Wiederbewaffnung. Die Frauenbewegung in Deutschland tat sich bis in die 90er Jahre überwiegend schwer mit dem Tag. Kritik an der Feierpraxis in der DDR, wo der Tag zunehmend eine Art sozialistischer Muttertag geworden war, verstärkte die Gebrochenheit der westdeutschen Feiertradition.

In den vergangenen 15 Jahren hat der Internationale Frauentag im wiedervereinten Deutschland eine neue Selbstverständlichkeit gewonnen. Jenseits ideologischer und parteipolitischer Unterschiede erkannten Frauen in Gewerkschaften, Parteien, Verbänden und Vereinen die Chance, mit dem Internationalen Frauentag jährlich den Fokus auf die fortbestehenden gleichstellungspolitischen Herausforderungen zu richten.

Der 100. Geburtstag des Internationalen Frauentages im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 unterstützt die Chance der Neuausrichtung als Feiertag der Frauenbewegung unter dem Motto des EU-Jahrs „Freiwillig. Etwas bewegen“.

Das zivilgesellschaftliche Engagement von Frauen in Frauenvereinen und -verbänden, Gewerkschaften und Parteien liegt an der Wiege aller frauenpolitischen Erfolge und bleibt wesentliche Quelle gleichstellungspolitischer Initiativen.

Vor 100 Jahren stellte sich die Frauenbewegung den Herausforderungen ihrer Zeit: Frauen mit großer Tatkraft und mutigen Visionen schlossen sich zusammen, um gleiche politische Teilhabe zu erreichen und soziale Ungerechtigkeiten zu überwinden. Große Frauengestalten in dieser Zeit waren unter anderem: Helene Lange, Marie Elisabeth Lüders, Helene Weber und Clara Zetkin. Die Gründerinnen der Frauenvereine wussten bereits damals die demokratischen Spielregeln des zivilgesellschaftlichen Engagements zu schätzen. Sie nutzten nach innen und außen die Möglichkeiten des Vereinsrechts und erreichten in den Formen ihrer Zeit eine Aufbruchbewegung. Später gelang es, Strukturen zu schaffen, um die Ziele der Frauenbewegung institutionell zu verankern.

Seitdem hat sich die Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft und unserem Rechtssystem deutlich verbessert. Das 1918 erkämpfte Wahlrecht war ein grundlegender Schritt hin zur aktiven politischen Partizipation der Frauen. Das Letztentscheidungsrecht des Ehegatten in allen Eheangelegenheiten wurde 1958 durch das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz) abgeschafft; seit dem Eherechtsreformgesetz von 1977 ist das Einverständnis des Ehegatten für eine berufliche Tätigkeit der Ehefrau nicht mehr nötig. Mit der 1994 in Kraft getretenen Verfassungsreform wurde Artikel 3 Absatz 2 um einen Satz 2 ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Heute sind Frauen an Schulen und Universitäten sehr erfolgreich: 51 Prozent aller Hochschulabsolventen sind weiblich. Oft legen sie die besseren Examina ab. Die Erwerbstätigenquote von Frauen steigt seit Jahren kontinuierlich an und lag im Jahr 2009 bei 37 Prozent der Vollzeitbeschäftigten und 83,4 Prozent der Teilzeitbeschäftigten. In fast jedem fünften Mehrpersonenhaushalt erwirtschaftet eine Frau mehr als 60 Prozent des Einkommens. Dennoch sind Frauen in Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert. Im politischen Bereich konnten Frauen ihren Einfluss in den vergangenen Jahrzehnten stetig ausweiten und sind nun in Parlamenten und politischen Gremien besser, aber noch nicht gleichberechtigt, vertreten.

Phantasievolle strukturelle Lösungen für drängende Herausforderungen kennzeichnen die Geschichte der Frauenbewegung, in der z.B. die konfessionellen Verbände und die Berufsverbände, die Aktionsformen der Frauenbewegung und der Zusammenschluss der Frauenverbände im Deutschen Frauenrat hervorzuheben sind. Sie haben sich als Seismographen und als Lobbyisten frauen- und gleichstellungspolitischer Themen in jeder Generation neu bewährt. Zugleich haben sie ein generationenübergreifendes Engagement von Frauen gestaltet, das von der Erfahrung geprägt ist, dass sich persönliches Engagement mit dem Engagement der vielen erfolgreich verbindet und Solidarität unter Ungleichen wesentliche Voraussetzung der Gestaltung einer geschlechtergerechten Gesellschaft ist.

Es geht um eine grenzüberschreitende gemeinschaftsbildende Ermächtigung von Frauen durch Frauen für die Mitgestaltung der modernen Welt.

Der Internationale Frauentag verpflichtet als Feiertag der Frauenbewegung dazu, der Lobbyarbeit von Frauen im politischen Raum Gehör zu schenken und frauenpolitische Projektarbeit zu stärken.

Die Förderung der Gleichstellungspolitik und des gleichstellungspolitischen zivilgesellschaftlichen Engagements sind Aufgaben, denen sich der Bundestag und die Bundesregierung anlässlich des 100. Geburtstages des Frauentages im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit neu verpflichtet sehen. Dabei müssen die neuen Herausforderungen angenommen werden. Hierzu gehören wirtschaftliche Aspekte, wie die Überwindung des Lohngefälles oder die Entwicklung einer Strategie zur Förderung von Frauen in Führungspositionen sowie soziale und gesellschaftliche Aspekte wie etwa häusliche Gewalt (vergleiche hierzu auch Bundestagsdrucksache 17/901).

Die „Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015“ der Europäischen Kommission greift aufbauend auf der Charta für Frauen fünf Schwerpunkte für diesen Zeitraum auf: die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit, gleiches Entgelt, Gleichheit in Führungspositionen, die Bekämpfung geschlechterspezifischer Gewalt und die Förderung der Gleichheit der Geschlechter außerhalb der Europäischen Union.

Der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der in diesem Jahr vorgelegt wird, wird diese Herausforderungen entlang der Weichen stellenden Übergänge im Lebenslauf von Frauen und Männern darstellen.

II. Der deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,

1.       die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen und in allen Phasen des Lebenslaufs zu verfolgen und Benachteiligungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und der Arbeitswelt aktiv entgegenzuwirken;

2.       Gleichstellungspolitik in der Lebensverlaufsperspektive weiter zu entwickeln und dabei die Unterstützung in Weichen stellenden Übergangsphasen zu gewährleisten;

3.       den Zweiten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz sowie den Fünften Gremienbericht zum Bundesgremienbesetzungsgesetz auszuwerten und zu prüfen, ob und inwieweit die Gesetze geändert und effektiver gestaltet werden müssen;

4.       darüber hinaus Forschungsprojekte zu unterstützen, die sich mit weiteren die Frauen betreffenden Themenstellungen befassen;

5.       Initiativen und Veranstaltungen zu fördern, die gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf erkennbar machen und einen verbandsübergreifenden Kommunikationsprozess zu den Ursachen bestehender Nachteile befördern;

6.       die Zusammenarbeit mit Österreich und der Schweiz, wo ebenfalls vor 100 Jahren der erste Frauentag gefeiert wurde, in Bezug auf die Durchsetzung gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit über die Durchführung der diesjährigen Veranstaltung bei der Frauenrechtskommission in New York hinaus fortzusetzen und die Chancen des Entgelt-Selbsttests Logib für Unternehmen auf diese Weise weiter bekannt zu machen; das nationale Aktionsbündnis verschiedener Akteure der Zivilgesellschaft zur Durchführung des Equal Pay Day weiter zu unterstützen, um die bestehenden Unterschiede in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Dabei kommt Politik, Wirtschaft und den Tarifparteien eine besondere Verantwortung zu. Ein Schwerpunkt muss dabei auf der  Überwindung des Stadt-Land-Gefälles beim Gender Pay Gap liegen;

7.       sich weiterhin dafür einzusetzen, dass bestehende Rollenbilder und Stereotype überprüft werden, und Frauen und Männer dazu zu ermutigen, sich in größerem Umfang nicht nur für vermeintliche Frauen- bzw. Männerberufe zu entscheiden;

8.       die Arbeit der Regierungskommission zur Vermeidung von Altersarmut gerade bei Frauen zu begleiten und deren Ergebnisse auch in Kooperation mit Frauenverbänden in die Öffentlichkeit zu tragen;

9.       den anlässlich von 90 Jahren Frauenwahlrecht und 60 Jahren Artikel 3 Grundgesetz erstmals verliehenen Helene-Weber-Preis für hervorragende Nachwuchskommunalpolitikerinnen 2011 im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit zum zweiten Mal auszuloben, um das zivilgesellschaftliche Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik anzuerkennen und durch die Auszeichnung von Vorbildern zur Nachahmung zu motivieren sowie den Zusammenschluss des Helene-Weber-Netzwerks unter dem Dach eines Helene-Weber-Kollegs zu unterstützen;

10.    sich für die Umsetzung der Europäischen Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015 einzusetzen;

11.    das Engagement von Frauen für den Frieden und die besondere Bedeutung von Frauen bei peace building- und peace keeping-Missionen anzuerkennen und bei der weiteren Umsetzung der UN-Resolution 1325 deutlich zu machen, dass die Rolle der Frauen in diesem Zusammenhang umfassend gestärkt werden muss, um kriegerische Konflikte zu lösen und Gewalt zu verhindern;

12.    das Engagement von Frauen in der internationalen Zusammenarbeit und der Entwicklungshilfe zu stärken und im Sinne der Chancengleichheit entschlossen für eine deutliche Erhöhung des Anteils von Kandidatinnen aus Deutschland in Führungspositionen bei internationalen Organisationen einzusetzen;

13.    bei wesentlichen Themen der Gleichstellungspolitik 2011 – insbesondere bei der Förderung von Frauen in Führungspositionen – intensiv mit den Frauenverbänden und -organisationen zusammen zu arbeiten, die sich für diese Frage stark machen und dabei insbesondere das Projekt „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ weiter zu fördern;

14.    den Public Corporate Governance Kodex mit Blick auf die Standards des Deutschen Corporate Governance Kodex zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren;

15.    sich entschlossen für eine deutliche Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und dem Öffentlichen Dienst einzusetzen und dazu einen Stufenplan mit konkreten und verbindlichen Schritten vorzulegen, der klare Ziel- und Zeitvorgaben enthält;

16.    Frauen als Existenzgründerinnen, Selbstständige und Unternehmerinnen stärker zu fördern und zu einer nachhaltigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen als Existenzgründerinnen und Selbständige beizutragen;

17.    in allen Bereichen (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik) auf eine Berücksichtigung der Kultur der Vielfalt (Diversity) hinzuwirken;

18.    Maßnahmen zu unterstützen, durch die die geschlechterstereotype Zuschreibungen von Fürsorglichkeit und Verantwortung auch im Ehrenamt überwunden wird und Angebote für Männer zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf verstärkt zu bewerben;

19.    Mehrgenerationenhäuser als Orte der Begegnung, des generationenübergreifenden Zusammenhalts und der Unterstützung für Frauen und Männer für eine gelingende Lebenslaufgestaltung unter Mitwirkung von Ländern und Kommunen in die Zukunft zu tragen;

20.    die Rahmenbedingungen für das zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Engagement gerade auch für Frauen zu verbessern. Dabei ist neben der Kommunalpolitik dem Sport, den Umweltverbänden und den Hilfsorganisationen (Technisches Hilfswerk, Feuerwehr u.a.) weiter besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus soll die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf allen politischen Entscheidungsebenen selbstverständlich sein;

21.    die besondere Rolle von Frauen bei der Integration in den Mittelpunkt von Integrationsbemühungen zu stellen und die wertvolle Arbeit von Migrantinnen-Selbstorganisationen zu unterstützen;

22.    die Vernetzung von Frauen mit Behinderungen zu unterstützen, um ihre Teilhabechancen in Bildung und Erwerbsleben zu verbessern; sie sollten insbesondere in die Erarbeitung des Aktionsplans zur Umsetzung der VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einbezogen werden;

23.    ihr Engagement gegen häusliche Gewalt fortzusetzen und ein Konzept für die Einrichtung eines bundesweiten Hilfetelefons bei Gewalt gegen Frauen (Helpline) vorzulegen;

24.    die systematische Verbesserung eines flexiblen Dienstleistungsangebots voranzutreiben, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Pflege und Ehrenamt weiter zu fördern. Insbesondere sollte neben der Infrastruktur auch die zeitliche Komponente weiterhin verstärkt in den Blick genommen werden;

25.    das zivilgesellschaftliche Netzwerk von Beratungseinrichtungen zu stärken;

26.    die unterschiedlichen Traditionen des Internationalen Frauentages in beiden Teilen Deutschlands wahrzunehmen und eine Neuorientierung dadurch zu unterstützen, dass der Internationale Frauentag als Feiertag der Frauenbewegung verstanden und eine Intensivierung der Zusammenarbeit von parlamentarischer und vorparlamentarischer Frauenpolitik nachhaltig befördert wird;

27.    das gleichstellungspolitische Engagement in Frauen- und in Männerorganisationen zu fördern und die Arbeit der gleichstellungsorientierten Männerorganisationen als Pendant zur Arbeit der traditionsreichen Frauenbewegung so zu unterstützen, dass eine geschlechtergerechte Gesellschaft im partnerschaftlichen Dialog von Frauen und Männern gestaltet werden kann.

Berlin, den

Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich und Fraktion

Birgit Homburger und Fraktion

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