20.10.2011
Rede Nicole Bracht-Bendt
Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
am Donnerstag, 20. Oktober 2011
Herr Bundestagspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
2,4 Millionen Menschen sind zur Zeit in Deutschland auf Pflege angewiesen. Mehr als 1,6 Millionen Frauen und Männer werden zu Hause versorgt.
Laut Umfragen wollen 91 Prozent aller Berufstätigen für ihre kranken oder alten Angehörigen da sein.Pflege und Beruf in Einklang zu bringen, ist allerdings für viele häufig mit großen Schwierigkeiten verbunden .Dabei nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen ständig zu. In wenigen Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, einen über 80 jährigen zu treffen größer als ein junger Vater oder eine Mutter mit einem Kinderwagen.
2009 lag der Anteil der über 65jährigen an der Gesamtbevölkerung bei 21 Prozent.2030 werden es bereits 29 Prozent und 2060 voraussichtlich 34 Prozent sein.Nun muss Altsein nicht unbedingt ein großes Handicap sein. Problematisch wird es aber, wenn wir uns den dramatisch ansteigenden Anteil an pflegebedürftigen Hochbetagten ansehen. 2009 betrug der Anteil der über 90jährigen schon bei 59 Prozent. Deshalb müssen wir etwas tun.
Die Politik hat in den vergangenen Jahren viel für die Betreuung von Kindern geleistet. Jetzt ist es Zeit, sich auf die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur einzustellen. Mit der Familienpflegezeit hat die Koalition geliefert.
Von dem zeitgemäßen Konzept profitieren alle.
Die Arbeitgeber weil ihnen die Mitarbeiter erhalten bleiben. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein ganz wichtiger Aspekt. Damit ist das Gesetz ein Beitrag, um Arbeitnehmer langfristig an den Betrieb zu binden. Der Arbeitnehmer, weil er im Beruf bleiben kann und den Anschluss nicht verliert. Die Pflegebedürftigen profitieren, weil sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.
Für die Angehörigen schaffen wir die Möglichkeit, schwer kranke Verwandte zu pflegen und dafür die Berufstätigkeit auf 50 Prozent zu reduzieren. Und das während die finanziellen Einbußen moderat bleiben. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf löst nicht alle demografischen Herausforderungen auf einen Schlag.
Er ist aber ein zentraler Beitrag für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Bei unserer Anhörung im Familienausschuss neulich äußerten Experten Kritik an einigen Punkten. Diese Anregungen hat das Ministerium aufgegriffen.
Stichwort Flexibilisierung. Es werden nun auch alle Angestellten mit unregelmäßigen Wochenarbeitszeiten erfasst. Stichwort Klarstellung: Nach der Pflegezeit ist jederzeit die Rückkehr in den Beruf möglich. Oder die Anregung des DIHK, dem Gesetzentwurf gleich einen Mustervertrag beizufügen, hat das Ministerium aufgenommen. Damit schaffen wir Rechtssicherheit und beugen kostspieligen Klagen vor. Mit der Familienpflegezeit ist kein Rechtsanspruch verbunden. Das war uns Liberalen wichtig. Die unternehmerische Freiheit darf nicht angetastet werden. Das Modell ist für Frauen und Männer attraktiv. Denn alle, die im Beruf vorübergehend kürzer treten, bleiben sozialversicherungspflichtig.
Die Rentenansprüche bleiben auf dem Niveau der Vollzeitbeschäftigung. Das beugt Altersarmut vor! Die ist besonders für Frauen ein wichtiger Punkt. Meine Damen und Herren, mit der Familienpflegezeit entlasten wir die vielen Angehörige, die die Pflege nicht allein Fremden überlassen wollen und dennoch Rechtssicherheit behalten. Wir entlasten aber auch Gesellschaft, Medizin und Pflegekassen, und zwar ohne mit der Gesetzeskeule zu kommen. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Beitrag, um die Herausforderungen der demografischen Veränderungen als Chance zu nutzen.