Meine Woche in Berlin (6)

29. Januar 2010

Im Mittelpunkt dieser Sitzungswoche stand das Thema Afghanistan. Die Ergebnisse der Konferenz der internationalen Staatengemeinschaft in London wertete Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle als strategischen Neuanfang und zugleich als Startschuss für einen Truppenabzug. Die neue deutsche Afghanistanstrategie erhielt Unterstützung von unseren internationalen Partnern. Der Strategiewechsel trägt eine “liberale Handschrift”. Im Mittelpunkt stehen der zivile Aufbau, die Ausbildung der Sicherheitskräfte und die Entwicklung einer Abzugsperspektive. Außerdem soll versucht werden, Taliban-Mitläufer wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

2005 hat Rot-Grün die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge der Hartz-Reformen beschlossen. Man schuf mit den Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) eine Organisationsform, in der Bundesagentur für Arbeit (BA) und kommunale Träger kooperieren und Arbeitsvermittlung und Leistungsgewährung aus einer Hand anbieten. Daneben ließ man auf Druck der FDP im Vermittlungsverfahren eine begrenzte Zahl (69) von so genannten Optionskommunen zu, in denen Arbeitsvermittlung und Leistungsgewährung in rein kommunaler Verantwortung organisiert und bis 31. Dezember 2010 befristet wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2007 entschieden, dass die ARGEn als unzulässige Mischverwaltung zwischen Bund und Kommunen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Da die alte Bundesregierung hier nichts getan hat, wird die christlich-liberale Koalition dieses Problem jetzt angehen. Grundsätzlich hält die FDP-Bundestagsfraktion die Kommunalisierung der Aufgabenwahrnehmung für sinnvoll. Wir haben im Koalitionsvertrag durchsetzen können, dass die Befristung der Optionskommunen entfällt. Der Ausweitung der Anzahl der Optionskommunen stehen wir weiterhin positiv gegenüber. Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die eine einfachgesetzliche Änderung hin zu einer getrennten Aufgabenwahrnehmung und der effektiven Ermöglichung freiwilliger Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommunen vorsieht, tragen wir mit.  Im Interesse der betroffenen Bürgerinnen und Bürger müssen außerdem bürokratische Doppelstrukturen weitgehend vermieden werden. Das Bundesarbeitsministerium hat in dieser Woche einen ersten Referentenentwurf erarbeitet, der als Grundlage dient  für Gespräche mit den Sozialpolitikern im Bund und in den Ländern.

Liberales Sparbuch nicht vergessen

Darüber hinaus war wieder der Haushalt eines der zentralen Themen im Plenum. Dazu gab es zwei Debatten. Der Haushaltsentwurf 2010 der Bundesregierung wurde zum Abschluss an den federführenden Haushaltsausschuss überweisen. Das bedeutet für die Haushälter, dass die Detailarbeit beginnt. So haben erste Berichterstattergespräche bereits stattgefunden, worin die jeweiligen Fachleute aus dem Ausschuss gemeinsam mit Vertretern des Bundesrechnungshofes, des Bundesfinanzministeriums und des entsprechenden Fachministeriums sich intensiv mit den jeweiligen Etats der Ministerien beschäftigen und Sparziele definieren.

Uns Bundestagsabgeordnete erreichen in diesen Wochen viele Anfragen mit Sparvorschlägen für den aktuellen Bundeshaushalt. Oft ist damit Kritik verbunden, auch die Frage, ob wir unser „Liberales Sparbuch“ vergessen hätten. Dem ist selbstverständlich nicht so! Auch als Regierungsfraktion im Deutschen Bundestag macht die FDP-Bundestagsfraktion keinerlei Rückzieher von den vernünftigen Sparvorstellungen der vergangenen Jahre. Die möglichen Einsparungen dort zu erbringen, wo es vernünftig ist, bleibt weiterhin unser Ziel! Einige Maßnahmen, die wir früher vorgeschlagen haben, wurden bereits – etwa im Haushalt des Bundesjustizministeriums – umgesetzt. Weitere Umsetzungen werden folgen. Auch der Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Schäuble enthält Anpassungen auf der Grundlage unserer Kürzungsanträge aus dem Jahr 2009. Auch deshalb war es möglich, die Nettokreditaufnahme im Entwurf trotz der Erhöhung des Kindergeldes oder der steuerlichen Entlastung von Familien und Unternehmen nicht erhöhen zu müssen.

Wenn der FDP vorgehalten wird, dass Sparvorschläge aus dem Sparbuch 2009 nicht umgesetzt würden, kann ich diese Kritik einerseits verstehen. Doch sollte man berücksichtigen, dass das Liberale Sparbuch 2009 sich auf den konkreten Haushalt 2009 der ehemaligen Regierung bezogen hat und sich nicht automatisch 1:1 übertragen lässt. Realistischerweise muss man auch akzeptieren, dass es in der Natur einer Koalition liegt, wenn die Vorstellungen eines Koalitionspartners nicht zu 100 % umgesetzt werden können.

Die Sparvorschläge, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, dienen uns auch in Regierungszeiten als Orientierung. In einzelnen Fällen müssen wir jedoch akzeptieren, dass manche Aufgaben hinzugekommen sind und sich Dinge verändert haben.

Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke hat dazu erklärt: „Nach meiner festen Überzeugung sind zur langfristigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte Wachstum und Sparsamkeit zwei Seiten einer Medaille. So müssen auch die notwendigen Entlastungen der Bürger und des Mittelstandes zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung von der Streichung unnötiger Ausgaben im Bundeshaushalt flankiert werden. Wenn wir so handeln, liegt zwischen der Reform zu einem einfacheren, niedrigeren und gerechterem Steuersystem und einer langfristigen Sanierung der Haushalte kein Widerspruch – im Gegenteil: mehr Wachstum und Beschäftigung sind Voraussetzung für dauerhaft gesunde Staatsfinanzen.“

Aufgrund der Hinterlassenschaft der Vorgängerregierungen werden wir Haushalte ohne Neuverschuldung in den kommenden vier Jahren dennoch kaum erreichen können. SPD Finanzminister haben in den vergangenen 11 Jahren über 300 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufgenommen. Die Aufnahme weiterer 350 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden hatte noch der letzte SPD-Finanzminister Steinbrück bis 2013 geplant.

Haushaltsarbeit ist nicht eine solche, die sich an einem Tag erledigt lässt – sie ist, frei nach Max Weber, das lange und beständige Bohren dicker Bretter.

Kinder brauchen starke Lobby

Im Bundestag tagte in dieser Woche zum ersten Mal die Kinderkommission. Ich werde die FDP-Bundestagsfraktion in dieser Kommission vertreten. Das fünfköpfige Gremium mit Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Funktionen möchte Ansprechpartner für Kinder und Jugendlichen sein und sich für ihre Interessen in der Politik einsetzen.

Unter Leitung des  amtierenden Vorsitzenden Eckhard Pols (CDU/CSU-Fraktion) werden wir, das sind Marlene Rupprecht (SPD), Diana Golze (DIE LINKE) und Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und ich in den nächsten Jahren zusammen arbeiten. Unser gemeinsames Ziel ist es, über Parteigrenzen hinweg dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen der Kinder und Jugendlichen in der parlamentarischen Arbeit ausreichend berücksichtigt werden. Als Anwältin der Kinder ist die Kinderkommission auch Ansprechpartnerin für Verbände und Organisationen sowie Eltern und Kinder.

Ich wünsche mir, dass die Arbeit der Kinderkommission nicht nur auf dem Papier neue Erkenntnisse bringt, sondern dass Kinder ganz praktisch von dieser Einrichtung profitieren. Meine politischen Ziele dabei habe ich in der Sitzung so formuliert: Ich möchte während der neun Monate, in der ich den Vorsitz des Gremiums inne habe, zum Beispiel Trauer in der Kindheit thematisieren. In ganz unterschiedlichen Lebenssituationen trauern Kinder, als Thema ist dies aber häufig  tabu: Wenn ein Elternteil stirbt oder die Großeltern zum Beispiel. Aber auch unter anderen Trennungen leiden Kinder. Die Kinderkommission kann Fakten zur Situation dokumentieren: Wie viele Scheidungskinder leben in Deutschland, wie viel Patchworkfamilien gibt es und was sind deren häufigste Probleme? Wohin kann sich ein Kind wenden, wenn Eltern plötzlich sterben? Können wir mit einer bundesweiten Trauer-Hotline etwas bewegen? Alles Fragen, mit denen ich mich beschäftigen werde.

Darüber hinaus will ich den Schwerpunkt meiner Arbeit in der Kinderkommission bei Kindern und Jugendlichen legen, für die kulturelle Bildung nicht möglich ist. Wir müssen Anreize schaffen, dass Kinder und Jugendliche statt vorm Computer zu sitzen, Interesse und die Möglichkeit haben, sich mit Musik oder Kunst zu beschäftigen oder mal ins Museum zu gehen. Ich halte aber auch mehr so genannte Aktionsflächen für außerordentlich wichtig, einfache Plätze, an denen Kinder und Jugendliche sich treffen können. Neben dem flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung für die Kleinsten müssen wir  nun die Bedürfnisse der Jugendlichen stärker im Blick haben. Sie dürfen nicht vergessen werden. Dabei setze ich auch auf freiwillige, ehrenamtliche Aktivitäten. Der rückläufigen Mitgliederzahlen bei den Freiwilligen Feuerwehren zum Beispiel müssen wir entgegen wirken.

Für die Arbeit in der Kinderkommission setze ich auf die Unterstützung von Familienministerin Kristina Köhler. Sie hat in einer Pressemitteilung aus Anlass der konstituierenden Sitzung gesagt, die Kinderkommission sei für sie einer der wichtigsten Partner, mit dem sie „eine gute und erfolgreiche Politik für Kinder durchsetzen möchte“.

Bewegendste Stunden mit Israels Präsident Peres

Die bewegendsten Stunden in dieser Woche erlebte  ich während der feierlichen Gedenkstunde am Mittwoch, in der der Bundestag und die Spitzen des Staates an die Opfer des Nationalsozialismus  erinnert haben. Der israelische Präsident und   Friedensnobelpreisträger Shimon Peres bezeichnete  in einer äußerst anrührenden Rede den Holocaust als „ewiges Warnzeichen“. Dabei sprach nicht nur der Präsident Israels, sondern auch ein Betroffener. Er erinnerte an seinen Großvater, „den wertvollsten und ehrlichsten Menschen, den es je gab“. Als die Nationalsozialisten in Peres Heimatort im damaligen Ostpolen einmarschierten, sperrten sie alle Juden in die Synagoge und zündeten sie an. „Keiner hat überlebt“, berichtete Peres, der selbst mit seiner Familie nach Israel fliehen konnte.

Vor genau 65 Jahren befreiten Soldaten der sowjetischen Roten Armee das Konzentrationslager Ausschwitz. Alljährlich findet im Bundestag  deshalb am 27. Januar eine Gedenkstunde mit Zeitzeugen als Gastredner statt. Das Bekenntnis von Bundestagspräsident Lammert (CDU), Deutschland stehe zu seiner Verpflichtung, Hass, Intoleranz und Antisemitismus entschieden zu bekämpfen, trage ich aus Überzeugung mit.

Am Sonntag werde ich als Hauptrednerin beim Neujahresempfang des FDP-Ortsverbands Aschendorf im Emsland auf die Situation der alten Menschen in unserem Land eingehen. Als seniorenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion appelliere ich an Politik und Gesellschaft, sich darauf einzustellen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten zehn Jahren um 40 Prozent steigen wird.

Am Donnerstag halte ich meine erste Bürgersprechstunde im Wahlkreisbüro in Buchholz ab. Ich freue mich sehr, mit den Menschen in unserer Region im Gespräch zu bleiben.

Ihnen wünsche ich ein entspannendes Wochenende und sage viele Grüße aus der Hauptstadt,
Ihre
 Nicole Bracht-Bendt

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