Berlin, 30. Juni 2012

Liebe liberale Freunde,

der letzte offizielle Sitzungstag im Bundestag vor der parlamentarischen Sommerpause hatte es noch einmal in sich. Wir haben weit reichende Entscheidungen getroffen. Bis nach 22 Uhr zogen sich gestern die namentlichen Abstimmungen zum ESM und Fiskalpakt hin. Ich halte den eingeschlagenen Weg weiter für einen Fehler und habe daher bei den Abstimmungen über das ESM-­‐Finanzierungsgesetz, über das ESM-­‐ Ratifizierungsgesetz und über den Fiskalvertrag mit Nein gestimmt. Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-­‐Währungsgebietes in Brüssel in der Nacht zu Freitag bestärkt meine Sorge und bestätigt mich in meiner ablehnenden Haltung. Den Wortlaut meiner Persönlichen Erklärung finden Sie in der Anlage. Mit den späten Freitagabend gefallenen Entscheidungen entstehen aus meiner Überzeugung nur neue Risiken. Die eigentlichen Probleme bleiben ungelöst. Nachfolgend in Kürze meine Argumente, warum ich Nein zum Rettungsschirm in dieser Form sage: Weil wir erneut enorme Haftungsrisiken übernehmen, ohne dass der ESM die eigentlichen Probleme löst. Und vor allem, weil wir durch ihn das Prinzip aufgeben, dass jeder Staat für die Folgen seiner eigenen finanzpolitischen Entscheidungen einstehen muss.

Neben den wichtigen Abstimmungen zur EU-­‐Zukunft stand am Freitagmorgen die Pflegereform auf der Tagesordnung. Das Gesetz zur Neuausrichtung der Pflege, das Anfang 2013 in Kraft treten soll, sieht verbesserte Leistungen für demenzkranke Menschen vor. Um dies zu finanzieren, wird der Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung zum Januar von derzeit 1,95 Prozent um 0,1 Punkte auf 2,05 Prozent angehoben. Zudem werden Pflege-­Wohngemeinschaften künftig stärker gefördert. Auch für pflegende Angehörige soll es mehr Entlastung geben. Das begrüße ich sehr.

Die Regierung will darüber hinaus mehr Anreize für die private Pflegevorsorge setzen. Wer neben der gesetzlichen Pflegeversicherung künftig (freiwillig!) eine Pflege-­Tagegeldversicherung abschließt, bekommt ab 2013 vom Staat dafür jährlich 60 Euro Zuschuss. Die Versicherer dürfen niemanden ablehnen, der zum Beispiel Vorerkrankungen hat.

Ich wünsche mir jetzt noch eine rasche Entscheidung zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Er ist Grundlage für ein Einstufungsverfahren, das die Defizite von Demenzkranken künftig stärker als bisher berücksichtigt. Derzeit ist auf Initiative von Gesundheitsminister Bahr ein Expertenbeirat mit der Prüfung des neuen Pflegebegriffs befasst.

 

Betreuungsgeld

Einen harten Schlagabtausch gab es am Donnerstag bei der ersten Lesung des geplanten Betreuungsgeldes. Ich halte zwar auch nichts von der zusätzlichen Geldleistung für Familien, deren Kinder auf eigenen Wunsch zuhause betreut werden statt in einer staatlich subventionierten Kita. Dies ist aber kein Grund für einen ideologischen Kulturkampf mit polemischen Anfeindungen. Gleichwohl sehe ich keinen Grund, warum Eltern, die staatliche Wohltaten wie eine Kinderkrippe nicht in Anspruch nehmen, belohnt werden sollen.

Ab 2013 soll es für die Einjährigen zunächst 100 Euro monatlich geben, ab 2014 dann für die Ein-­‐ und Zweijährigen je 150 Euro. Ich werde mein Abstimmungsverhalten davon abhängig machen, inwieweit der Gesetzentwurf noch modifiziert wird. Ich habe noch mehrere offene Fragen. Nach wie vor halte ich ein Gutscheinmodell für besser.

Ein Jahr Bundesfreiwilligendienst – im Plenum wurde eine positive Bilanz gezogen: Wo 2010 noch durchschnittlich 45.000 Zivis im Einsatz waren, sind heute knapp 80.000 Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst und den Jugendfreiwilligendiensten engagiert. Besonders erfreulich ist, dass erstmals Ältere die Möglichkeit haben, sich im BFD zu engagieren und dies auch tun. Fast ein Drittel der Freiwilligen ist über 27 Jahre alt. Allerdings halte ich die Rufe von Sozialverbänden nach mehr Geld für weitere Plätze für verfrüht, solange eine Evaluierungsstudie zum BFD noch aussteht.

Am Mittwoch hat das Kabinett den Haushaltsentwurf 2013 beschlossen, ein Haushalt, der der Staatsschuldenkrise trotzt. Wenn wir nach der Sommerpause wieder zusammen kommen, kann die Koalition die Weichen stellen für einen Haushalt, mit dem der Bund drei Jahre früher als vom Grundgesetz vorgegeben bereits im Jahr 2013 das Ziel für die Obergrenze des strukturellen Defizits (0,35 Prozent des BIP) erreicht. Die Koalition übererfüllt damit die verfassungsmäßigen Vorgaben. Augenmaß im Zusammenspiel von Wachstums-­‐ und Konsolidierungspolitik scheinen sich auszuzahlen. Das ist für mich die erfreulichste Nachricht der Woche.

 

Contergan-­Folgen

Der renommierte Berliner Wissenschaftler Prof. Kruse hat am Mittwoch in der Sitzung des Familienausschusses uns ernst zu nehmende Ergebnisse einer Studie über Versorgungsdefizite von contergangeschädigten Menschen vorgestellt: Die zwischen 1960 und 1962 geborenen Geschädigten sind meistens ledig, haben keine Kinder, nur 30 Prozent von ihnen arbeiten Vollzeit. Gleichzeitig weisen die meisten Betroffenen eine höhere Bildungsquote als Nicht-­Betroffene auf. Von 900 Teilnehmern dieser Studie leiden 82 Prozent der Opfer an dauerhaften Schmerzzuständen. Diese chronischen Schmerzen sind auch der Grund, warum viele von ihnen früh aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Fazit: Die Betroffenen sind von ihrem körperlichen Zustand her um etwa 30 Jahre älter als Nicht‐Betroffene. Hier ist der Bund nach Auffassung von Prof. Bertram in der Pflicht, im Hinblick auf Erleichterungen bei gesundheitsfördernden Maßnahmen in der Pflicht.

Am Abend wurde bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom meine ablehnende Haltung gegenüber einer staatlich verordneten Frauenquote bestätigt: Die DAX-­30 Unternehmen, die sich vergangenes Jahr einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu mehr Frauen in Führungspositionen auferlegt haben, berichteten in ihrem ersten Fortschrittsbericht, dass der Frauenanteil gesteigert werden konnte. Es war zwar noch kein großer Wurf, es gibt immer noch Bereiche wie im Automobilsektor, wo der Chefinnen‐Anteilverschwindend gering ist. Doch es ist klar erkennbar, dass Frauen in der Leitungsebene auch ohne Eingriff in die unternehmerische Freiheit im Kommen sind.

Zum Schluss noch der Hinweis, dass ich auch in dieser Woche wieder eine Besuchergruppe aus unserer Region in Berlin begrüßt habe. Zuvor waren sie Zeugen bei der Regierungserklärung der Kanzlerin zum Fiskalpakt. Am Abend standen gleich drei verschiedene Veranstaltungen auf meiner Agenda: Ich nahm teil an einem Parlamentarischen Abend zur Pflege und war anschließend zu Gast beim traditionellen Sommer-­Empfang der Evangelischen Kirche zum Joannistag. Den Austausch mit den großen Kirchen finde ich wichtig. Den Abschluss machte ich bei einem Abstecher zum Sommerfest der Julis.

 

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien nun ein schönes, sonniges Wochenende!

Ihre

 

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