Aus Anlass des Internationalen Tages der Seniorinnen erklärt die Sprecherin für Frauen und Senioren, Nicole BRACHT-BENDT:
Trotz des Wandels der Frauenrolle und der Frauenbiografien in den letzten Jahrzehnten sind Frauen sind von Altersarmut deutlich häufiger betroffen als Männer. Auch wenn jüngere Frauen selbstverständlicher erwerbstätig und besser qualifiziert sind, sind ihre Berufsverläufe verglichen mit denen von Männern diskontinuierlicher, und Familienpausen vermindern das Erwerbseinkommen und die Aufstiegsmöglichkeiten auch heute.
Die „Frauenberufe“ sind nach wie vor schlecht bezahlt. Dies sind Barrieren, eigenständige Rentenansprüche in demselben Umfang wie Männer zu erwerben – dies wird aber umso wichtiger, je weniger auf eine dauerhafte Familienperspektive gesetzt werden kann. Das aktuelle Rentensystem privilegiert jedoch immer noch und immer wieder die männlichen Biografien auch in den nachfolgenden Generationen, woran auch die Anrechnung von Erziehungszeiten kaum etwas ändert.
Das zweite Altersrisiko ist die Vereinzelung. Da Frauen üblicherweise einen etwas älteren Ehepartner gewählt haben und Männer eine niedrigere Lebens erwartung haben, sind viele ältere Frauen verwitwet. Der Anteil der Verwitweten steigt von 10 Prozent bei den 60 bis 64-Jährigen Frauen (Männer: 3 Prozent) auf 60 Prozent bei den 80-Jährigen und Älteren (Männer 24 Prozent, Genderreport). Die Verwitwung erhöht das Risiko einer Vereinzelung, muss aber nicht zwangsläufig dazu führen. Doch es leben etwa drei Viertel der hochaltrigen Frauen, aber nur ein Drittel der hochaltrigen Männer in Privathaushalten allein. Männer können eher als Frauen damit rechnen, ihren Lebensabend in einer Partnerschaft zu verbringen und dort auch gepflegt zu werden. Im Alter von über 80 Jahren leben 14 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer in Pflegeeinrichtungen5 und 79 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen sind weiblich (Genderreport). Kommt dazu, dass Frauen eingeschränkt mobil sind, über wenig Geld verfügen und Angst vor Gewalt haben, wenn sie die Wohnung verlassen. Dann führt das Alleinleben häufig zu sozialer Isolation. Neben dem Erhalt der Mobilität ist die Entwicklung von Angeboten geeigneter Wohnformen für alleinstehende Frauen im Alter wichtig. Jüngere Generationen bringen hier Erfahrungen mit anderen als familiären Wohnformen als Ressource mit.
Frauen leben zwar länger als Männer, aber sie haben höhere Morbiditätsraten
Das dritte Altersrisiko betrifft die Gesundheit. Frauen sind häufiger krank, aber – anders als Männer – weniger von Krankheiten betroffen, die zum Tode führen. Alterskrankheiten von Frauen sind Herzinsuffizienz, Oberschenkelhalsbruch, Hirngefäßkrankheiten, Grauer Star.6 Auch bei der subjektiven Einschätzung schneiden Frauen schlechter ab: 79 Prozent der 65- bis 74-jährigen Männer bezeichneten bei der Gesundheitsbefragung 1997 in der Schweiz ihre Gesundheit als gut oder sehr gut, aber nur 68 Prozent der Frauen; das psychische Wohlbefinden erklärten 69 Prozent der Männer und 56 Prozent der Frauen für gut. Eine Untersuchung der Pflegeversicherung zeigte, dass 65-jährige Männer bis zu ihrem Tod 15,4 Monate pflegebedürftig sein werden, 65-jährige Frauen haben dagegen statistisch 29,4 Monate Pflegedauer zu erwarten.7 Diese Eckdaten – Entwicklung der Lebenserwartung und frauenspezifische Morbidität und Gesundheitsverhalten – scheinen sich für die jüngeren Generationen nicht wesentlich zu verändern.
Längst hat sich ein anderer Blick auf das Alter entwickelt, der auch die Ressourcen und nicht nur die Defizite sieht. Ressourcen sind Frauen im Alter vor allem für andere: Sie sind stark im ehrenamtlichen Bereich vertreten und sie sind es, die auch im (jüngeren) Alter einen großen Teil der Pflege hauptverantwortlich als Ehefrauen, aber auch als Töchter oder Schwiegertöchter der hochaltrigen Eltern oder Schwiegereltern übernehmen. Eine Studie des DIW kommt zu dem Schluss, dass Kinderbetreuung vor allem durch Großmütter „in beiden Teilen Deutschlands eine hohe Bedeutung“ hat8 (und bei Auswertungen des sozio-ökonomischen Panels erwies sich in den westlichen Bundesländern allein die Verfügbarkeit informeller Betreuung durch Großmütter als statis tisch signifikant für die Fertilitätsrate9). Bei einer angenommenen Kinderlosigkeit von etwa gut einem Viertel und bei einer stärkeren beruflichen Einbindung von Frauen werden diese Ressourcen nicht mehr selbstverständlich zur Verfügung stehen, und im Sinne von Geschlechtergerechtigkeit gilt es, Pflege und Betreuung auch als Handlungsfeld für Männer aufzubauen.
Frauen ab 65 Jahren nehmen zahlreich Kultur- und Lernangebote wahr
Frauen dieser Altersgruppe nutzen zwar deutlich seltener als gleichaltrige Männer das Internet – aus nachvollziehbaren Gründen: Wurden sie doch nicht im beruflichen Bereich mit diesem Medium vertraut gemacht. Dass dies sich ändern kann und wird, belegen die hohen Zuwachsraten bei der Internetnutzung bei Frauen ab 50 Jahren. Als Funktionen sind weniger Spiele, sondern vielmehr die E-Mail-Kommunikation von Interesse. Auf diese Flexibilität und Lernbereitschaft setzen Angebote des lebenslangen Lernens für Frauen. Mit der besseren schulischen Ausbildung jüngerer Generationen von Frauen wird diese Ressource an Bedeutung gewinnen. Die „weiblichen“ Altersrisiken Armut, Verwitwung und Vereinzelung sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen und längere Pflegebedürftigkeit verstärken sich wechselseitig. Sie entstehen dann, wenn der für Frauengenerationen spezifische Lebensweg in den Sicherungssystemen nicht berücksichtigt wird. Bei allen Entwicklungen im gerontologischen Bereich, von den Reformen der sozialen Sicherung im Alter und der Gesundheitsversorgung über die Entwicklung neuer Wohnformen und die Planung des öffentlichen Verkehrswesens bis zur Gestaltung von Bildungsan geboten, gilt es stärker als bisher Genderaspekte aufzugreifen. Zu hoffen ist, dass die folgenden Generationen der gut qualifizierten älteren Frauen sich besser organisieren können, besser ihre Interessen vertreten und unüberhörbar ihren Bedarf artikulieren. Auf europäischer Ebene ist „Chancengleichheit für ältere Frauen“ bereits ein Thema.